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Gegen Dumpfheit mit Wasser spritzen

Iring Fetscher Jahrbuch der Kinderliteratur 1979
Iring Fetscher im Jahrbuch der Kinderliteratur · 1979

Iring Fetscher gehört zu den großen demokratischen Geistern des 20. Jahrhunderts. Und er ist am 4. März 1922 in Marbach am Neckar geboren. Der Politikwissenschaftler, der mit seiner Untersuchung zu Jean-Jacques Rousseaus politischer Philosophie einen Beitrag zur Geschichte des demokratischen Freiheitsbegriffs schrieb, tauchte plötzlich wieder in einem Kinderbuch auf, das schon seit meiner späten Kindheit neben meinem Bett stand. Hans-Joachim Gelberg ließ Fetschers Gedicht „Warum es für große Leute keine Wunder gibt“ 1979 ins fünfte Jahrbuch der Kinderliteratur einrücken. Iring Fetscher selbst hatte uns zeitlebens noch erlaubt, sein Gedicht in Erinnerung zu rufen. Alle Jahre wieder tun wir das.

Jedesmal, wenn in Marbach am Neckar ein Kind zur Welt kommt, wird in dieser Stadt wieder zur Pädagogik angestiftet. Die Geburtsstation im Krankenhaus wurde 1974 aufgelöst.

Iring Fetscher
Warum es für große Leute keine Wunder gibt

Die großen Leute reden viel
und sehn nur selten hin.
Sie lächeln über unser Spiel,
verstehn nicht seinen Sinn.

Die großen Leute glauben kaum,
daß Wunder noch geschehn,
vergessen rasch den schönsten Traum
und können nichts verstehn.

Die großen Leute reisen weit,
gar bis nach Afrika,
doch leider haben sie keine Zeit,
waren eigentlich kaum da.

Wenn man die großen Leute was fragt,
hören sie nicht richtig hin,
durch ernste Arbeit sind sie geplagt,
kennen keinen andren Sinn.

Doch fragt ihr mich, woher das kommt,
scheint mir die Antwort klar,
nur dem, der sich selber wundern kann,
dem sind auch Wunder wahr.

Wer dumpf und stumpf die Welt besieht,
wer nur noch müde winkt,
was er auch sieht und was geschieht,
in Dumpfheit der versinkt.

Vielleicht kann man – mit Wasserspritzen
die großen Leute erschrecken
und sie aus ihrer Stumpfheit
dann doch noch mal auferwecken?